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15.04.2023

Alleine genügt

Sei mal ehrlich: du hast dich in deinem Leben bestimmt auch schon mal einsam gefühlt. Nichts Außergewöhnliches. Nichts Erwähnenswertes. Oder etwa doch?

Naja, wie soll ich sagen.. Wie soll ich es erklären ohne das Gefühl zu übermitteln, dass ich übertreibe? Ich würde sagen auf zwischenmenschlicher Basis und psychologisch betrachtet gibt es wohl kaum Schlimmeres. Einsamkeit ist die Endstation nach einer Reihe von vorgelegten Gefühlen. Im Grunde resigniert der Verstand.

Man kann in Anwesenheit vieler Menschen einsam sein. Man kann in einer Partnerschaft einsam sein. Man kann physisch und psychisch vereinsamt sein. Oft ist es ein Gefühl, das seinen Urspruch aus einem anderen hat: Unverständnis. In einer Partnerschaft kann Einsamkeit dadurch entstehen, dass man wiederholt das Gefühl hat, nicht verstanden zu werden. Es werden Bedürfnisse kommuniziert und werden am anderen Ende bewusst überhört. Man bringt wiederholt ein Problem zum Ausdruck, es wird aber belächelt oder heruntergespielt. Man akzeptiert schließlich diese Tatsache, vergräbt sich in sich selbst und fühlt diese Leere, Resignation und tiefe Einsamkeit.

Einsamkeit kann auch entstehen, wenn man mit sich selbst nicht im reinen ist und dadurch glaubt, sein Persönlichstes nicht zeigen und teilen zu können. Eine Maske, die man für die Öffentlichkeit trägt. Oft sind es Menschen, die sehr laut und lustig sind, die in sich aber tiefe Traurigkeit und Einsamkeit fühlen.

Man hat mir nach meiner Scheidung oft die Frage gestellt, ob ich nicht einsam sei. So alleine in meiner kleinen Wohnung ohne Ansprache.. Zuerst hoch immunsuppremiert nach der Nierentransplantation mit extrem hohen Ansteckungsrisiko schon vor Corona. Und zu allem Überfluss wurde es ein halbes Jahr später mit Pandemie wie wir alle wissen nicht besser..

Das Lustige (oder eigentlich tragische) daran ist, dass ich mich in dieser Zeit keinen einzigen Tag einsam gefühlt habe. Eingeschränkt ja, gelangweilt - ab und zu. Aber Einsamkeit spürte ich an keinem Tag. Im Gegenteil. Es war Dankbarkeit, die ich empfand. Und ganz vordergründig Überforderung mit meinem neuen Körper, den ich erst wieder kennenlernen musste. Einsam war ich bis dahin..  viele Jahre… eingesperrt in mir selbst und meinem goldenen Käfig.

Meine Situation gab mir die Möglichkeit mich zum ersten Mal in meinem Leben ganz intensiv mit mir selbst zu beschäftigen. Körperlich und mental. Wie ihr vielleicht schon gelesen habt, hatte ich zuvor schon einige “Überlebensstrategien” entwickelt. Mehr aus der Not heraus und sicher mehr unterbewusst, als bewusst. Jetzt war das anders. Es war ein ganz bewusster Prozess. Ich wusste, dass das was mit mir passiert war, nicht zu bewältigen ist, wenn ich nicht ein paar ungemütliche Wege zu mir selbst angehe. Persönlichkeitsentwicklung.. Furchtbares Wort. Aber so wissen viele, was gemeint ist. In dieser Zeit war meine erste Lehreinheit zu verstehen: Es ist egal was ich im Leben erreichen möchte, ich alleine genüge um es zu schaffen. Ich ganz alleine. Me, myself and i. Niemand der da ist und die Führung übernimmt. Niemand der den Ton angibt oder mich auf Spur hält. Ich reiche. Ich alleine.

Ich bin verantwortlich für meinen Körper.
Ich bin verantwortlich diesen gesund zu halten.
Ich bin verantwortlich für mein Handeln.
Ich bin verantwortlich für mein Denken.
Ich bin verantwortlich für meine Gefühle.
Ich bin verantwortlich dafür, wie es weiter geht.
Ich alleine. Ich muss genügen. Alleine genügt.

Richtig: nur ich selbst. Nicht ein Partner, nicht meine Ärzte, nicht meine Familie.

Jetzt sind wir da, wo ich hin wollte, um dir zu erklären, was wirklich der Unterschied ist zwischen Einsamkeit und alleine zu sein.

Einsamkeit ist ein Gefühl, dass ich zulasse, weil ich mich fremdbestimmen lasse. Ich bin einsam, weil mein Partner mich nicht versteht. Ich bin einsam, vernachlässige mich selbst und werde depressiv, weil mich meine Familie im Stich gelassen hat.

Alleine sein ist ein Zustand. Ein Fakt. Ich bin heute Abend alleine in meiner Wohnung. Nun kann ich es zulassen mich in meine Einsamkeit einzuhüllen und mich selbst zu bemitleiden, weil ich alleine bin. Eine andere Entscheidung ist es, den Zustand des “alleine seins” als Fakt zu akzeptieren und in Positives umzuwandeln. Ich bin alleine in meiner Wohnung und bin völlig alleine verantwortlich dafür, was als nächstes passiert. Niemand beeinflusst mich. Niemand auf den ich Rücksicht nehmen muss. Die Welt steht mir offen, weil ich alleine entscheiden kann. Ich kann mich weiterbilden, kann mich bewegen, kann die Natur genießen, kann Sport treiben, kann mich gesund ernähren. Ich kann auch Gespräche mit Menschen suchen, die ähnlich ticken und mich und meine Ansichten und Probleme verstehen.

Da komme ich nochmal auf das Wort “Persönlichkeitsentwicklung” zurück. Viele selbst ernannten (oder auch ausgebildeten) Lifecoaches predigen, dass man sich selbst zuerst lieben soll, bevor man andere Menschen in sein Leben lässt und das nur möglich ist, wenn man seine Persönlichkeit entwickelt. Wenn man seine Persönlichkeit entwickelt… Was soll das bedeuten? Ich war 38 Jahre alt, als sich mein bisher gelebtes Leben in Luft auflöste. Meine Persönlichkeit war mehr als ausgereift. Geformt durch alle schönen und schlechten Erfahrungen, die ich in 38 Lebensjahren gemacht habe. Meine Persönlichkeit ist meine Persönlichkeit. Was ich entwickeln kann, oder einfacher gesagt ändern kann, ist nicht meine Persönlichkeit, sondern meine Art zu denken. Das wird nicht ändern, dass ich ein extro- oder introvertierter Mensch bin oder dass ich temperamentvoll und sarkastisch bin. Auch nicht, dass ich viel Raum für mich brauche oder viel Nähe.

Was auch extrem schwer greifbar für mich war, war das Wort “Selbstliebe”. Es hat sich nach sehr vielen Stunden des Lesens über dieses Thema herausgestellt, das sich meine nicht vorhandene Selbstliebe dadurch definiert, dass ich mein ganzes Leben lang, immer meine Bedürfnisse hinter die, anderer Menschen gestellt habe. Als ich nach der Nierentransplantation alleine zuhause mit mir selbst überfordert war, habe ich verstanden, dass es ab sofort nur mehr um mich gehen muss. Sonst würde ich diese Situation nicht überstehen und mein weiteres Leben sehr kurz sein. Mein Körper hat mir 1 Jahr zuvor schon sehr deutlich durch ein Burnout gezeigt, dass ich aus meinem Leben ausbrechen muss. Jetzt war die Zeit für Heilung für Körper und Seele gekommen. Eine Zeit nur für mich. Alleine genügt.

Als Single endet die verbissene Suche nach einem Partner um jeden Preis ab dem Zeitpunkt automatisch, an dem man verinnerlicht hat, dass man selbst genügt. Dieser Instinkt wird schwächer, es stellt sich ein sehr schönes Gefühl der Zufriedenheit und Ruhe ein. Das ist auch der mentale Zustand, den man meiner Meinung nach erreichen sollte, bevor man sich anderen Menschen wieder öffnet: in sich ruhig, gelassen, selbstsicher und mit ganz viel Selbstliebe.

Was kann das nun für dich bedeuten, wenn du dich einsam fühlst? Was könnte ein erster Schritt sein, das zu ändern? Bei mir waren es ein paar sehr dramatische Situation, die mich fast dazu gezwungen haben etwas zu ändern um zu überleben. Bei dir könnte das Gefühl zwar gleich sein, aber es passiert (hoffentlich) nichts “Schlimmes”, das dich aus deiner Komfortzone zwingt. Einen Tipp kann ich dir dazu geben: Beginne öfter NEIN zu sagen. Nein zu anderen und nein zu dir selbst:

NEIN, ich kann nicht babysitten - ich habe Zeit für mich geplant.
NEIN, ich gehe nicht mit zu dieser Familienfeier mit Anwesenheitspflicht, wo ich viele nicht leiden kann - ich nutze das schöne Wetter für mich.
NEIN, ich schalte den Fernseher jetzt nicht ein, sondern zieh mich an und gehe im Regen spazieren und genieße die frisch gewaschene Luft.
NEIN, ich denke und fühle jetzt nicht wie einsam ich bin und bemitleide mich selbst, sondern bin dankbar, dass ich so viele Freiheiten habe um ganz genau das zu tun, was mir gut tut.

Alleine genügt. Und nicht nur das: alleine sein heißt: NUR DU für DICH. 1000 Möglichkeiten. Wann beginnst du sie zu nutzen?